Menschen aus der Ukraine ein zu Hause geben.
Warum tun Menschen, was sie tun? Warum nehmen manche “hands on” fremde Menschen bei sich auf, während andere darüber nachdenken und vielleicht anders helfen?
Als ich die What’s App Nachricht meiner guten Bekannten Birgit Haider las, wir kennen uns vom Yoga, fühlte ich mich erst einmal schlecht.
Sie schrieb, dass sie leider nicht an unserem Yoga Retreat an der Ostsee im März teilnehmen könne, weil sie Flüchtlinge aus der Ukraine bei sich aufgenommen habe.
Ich habe mich gefragt: Warum gibt es Menschen wie mich, die das Weltgeschehen aus der Ferne betrachten und solche, die eingreifen und einfach machen?
Inzwischen haben sich einige Freunde und Bekannte und viele andere tollen Menschen auf der Welt dazu entschieden, Flüchtlingen ein zu Hause auf Zeit zu schenken. Ich ziehe meinen Hut davor.
Wie es zu Birgits Entscheidung kam, was sie dazu bewegt hat, wie das Zusammenleben mit Menschen aus einem Kriegsgebiet ist und wir ihr selbst einen Beitrag leisten könnt, lest ihr hier.
Liebe Birgit, wir kennen uns seit nun gut 3 Jahren und haben immer wieder einmal Kontakt. Ich erinnere mich, dass mich deine Lebensgeschichte, die du so erzählt hast, als sei sie die normalste von der Welt, damals sehr bewegt hat. Erzählst du sie uns?
(Lächelt und winkt ab) Ach Kathi. So ist doch eben jeder Mensch anders.
Ich komme aus Süddeutschland und bin seit 10 Jahren in Berlin, werde dieses Jahr 60 Jahre alt und habe zwei wunderbare Töchter, also eigentlich vier, und zwar zwei eigene und zwei angeheiratete Mädchen und alle vier sind zwischen 15 und 30 Jahren alt. Da ist immer was los. Hund und Katze leben auch noch bei meinem Mann und mir im Haus.
Von Beruf bin ich Ärztin, ich habe da alles Mögliche gemacht, von Chirurgie bis Tropenmedizin, war auch ein Jahr in Afrika tätig, aber hauptsächlich war ich Notärztin und habe viele Tausend Einsätze mit Blaulicht gefahren. In den letzten zehn Jahren bis 2017 war ich dann als Palliativärztin dabei, wenn Menschen zu Hause sterben wollten. Also alles sehr intensiv, sodass ich irgendwann nicht mehr konnte und nach einer Auszeit von ungefähr einem Jahr mein Hobby zum Beruf gemacht habe: den Yoga.
In meiner Ausbildung zur Yogalehrerin haben wir beide uns dann kennengelernt. Darüber bin ich sehr froh. Zuerst war das Corona-bedingt online und dann Gottseidank auch live, in einem Kurs an der Ostsee. Das war eine wunderbare Atmosphäre da, mit lauter tollen Frauen.
Jetzt hab ich mein eigenes kleines Yogastudio hier in Berlin-Wannsee, gebe auch einen Online-Kurs, arbeite in der Yoga Ausbildung so wie du ja auch, und schreibe an ein paar Yogabüchern mit. Das sind die medizinischen Themen wie Faszien und Organsysteme, die mir besonders liegen, ebenso das Spirituelle am Yoga. Dass wir über unseren Körper zu ungekannten Bereichen unserer Seele gelangen können, fasziniert mich. Und dass ich beim Yoga Menschen um mich versammeln darf und ihnen helfen kann, sich selber besser kennen zu lernen, ist eine wunderbare Erfahrung. Tja, und dann kam der Ukraine-Krieg.
Hast Du lange darüber nachdenken müssen, ob Du das machst: Fremde bei euch zu Hause aufzunehmen? Viele Menschen, und das meine ich ganz wertfrei, ich gehöre selber dazu, haben Hemmungen oder andere Gründe, keine Flüchtlinge bei sich aufzunehmen.
Das ging ganz schnell. Als der Krieg losging und die ersten Meldungen ankamen, jeden Tag 10.000 Menschen in Berlin am Hauptbahnhof ohne zu wissen wohin, da hatten mein Mann und ich denselben Gedanken: Da muss man doch was tun! Wir haben ein großes Haus, die Kinder leben nicht mehr bei uns, und die Armen haben kein Dach über dem Kopf und alles verloren.
Es war von uns beiden spontan, gleichzeitig nicht unüberlegt. Wir haben darüber geredet, als wir einmal wieder beide zu Hause waren. Das kommt eher selten vor, weil mein Mann viel unterwegs ist. Es war glaube ich am Samstag, den 5. März.
Er hat gesagt, dass er das gerne machen würde, ich jedoch wohl den größeren Anteil an der Aufgabe hätte, weil er untertags in der Arbeit sei, also solle ich das entscheiden. Das stimmt so natürlich nicht ganz, denn gerade wenn er den ganzen Tag arbeitet, muss er am Abend ja auch tolerieren, das Haus voll zu haben. Uns war bei dem Gespräch schon klar: Wir machen das.
Ich habe uns gleich in einem offiziellen Netzwerk registriert, von dem über 2 Wochen exakt gar nichts außer zwei Mails mit dem Tenor „Wir arbeiten mit Feuereifer daran“ zurück kam. Das lag wohl an der Bürokratie.
Zeitgleich gingen ein paar Meldungen über Nebenan.de herum, es würden Unterkünfte gesucht. Also hatten wir gleich am Sonntag Besuch von einer Familie, die sich vorgestellt hat. Mein Gott, diese drei Frauen und drei Kinder haben wirklich Schlimmes erlebt. Sie waren schwer traumatisiert. Das sind sie eigentlich alle.
Zu dem Teil deiner Frage, ob wir ein Problem damit hatten, Fremde in unser Haus zu lassen, kann ich nur sagen: Ich gebe zu, dass ich damals im Syrienkrieg wohl keine arabischen alleinstehenden Männer aufgenommen hätte, zumal ich da noch voll gearbeitet habe. Frauen und Kindern aus Europa zu helfen, fällt da leichter. Und sie sind alle so dankbar und vertrauenswürdig, dass ich allen sofort einen Schlüssel gegeben habe. Vielleicht mag das manch einem zu vertrauensselig erscheinen, aber so bin ich eben, und mein Vertrauen wurde auch noch nie enttäuscht.
Wer sind die Menschen, die bei Euch wohnen?
Diese ersten drei Frauen und drei Kinder haben wirklich Schlimmes erlebt. Die Flucht ging über vier Tage. Zug bis Lemberg, von dort in einen Bus, irgendwo in Polen wurden sie einfach rausgeworfen. Wohin jetzt? Wieder im Zug weiter bis Berlin, wo am Hauptbahnhof freiwillige Helfer standen und die ersten Bedürfnisse zu stillen versuchten: Hunger, Durst, ein Dach über dem Kopf.
Die Männer der Familie sind noch dort, einer von ihnen ist Invalide und müsste eigentlich nicht kämpfen, doch das Krankenhaus, in dem seine Papiere sind, gibt es nicht mehr, es ist zerbombt. Er hat keine Bescheinigung über seine schwere Krankheit, sodass er die Ukraine nicht verlassen durfte.
Die Familie hatte dann schnell Glück: sie haben eine kleine leerstehende Wohnung bezogen, die auch über Nebenan.de vermittelt wurde.
Danach kamen sofort fünf neue Menschen, die bei uns eingezogen sind: wieder drei Frauen und zwei Kinder, ein vierjähriger Junge und eine 16 Jährige. Da war dann was los bei uns, zumal wir ja Hund und Katze haben.
Alle haben sich gut verstanden, auch wenn die Kommunikation schwierig war. Das Mädchen konnte drei Brocken Englisch, ich kann Tschechisch, was ja als slawische Sprache ein bisschen ähnlich ist, und notfalls konnten wir eine Russin anrufen, die übersetzt hat. Sie kommen aus Charkiw und sprechen Russisch, wie 80 Prozent der Bevölkerung dort. Dass die Russen auf sie schießen, können sie bis heute nicht fassen.
Wir haben viel gelacht, und gleichzeitig auch viel geweint. Ja, manchmal habe ich mitgeweint. Es ist so viel Schlimmes passiert bei ihnen zu Hause, Bomben fallen weiterhin, Menschen sterben jeden Tag, die Sorge um die Männer, die Haustiere werden zum Teil ausgesetzt und verhungern, weil die Menschen selber nicht genug zu essen haben.
Aber es geht weiter, und am Abend haben wir immer zusammen gegessen, mal haben sie gekocht, mal ich. Einmal gab es ukrainischen Borschtsch, da bin ich sogar über meinen vegetarischen Schatten gesprungen. (lächelt) Pizza haben wir gebacken, der Kleine und ich, die Küche sah hinterher aus…!
Das war übrigens das einzige Problem: dass wir zu siebt eine Küche benutzen mussten, und das mit doch sehr unterschiedlichen Vorstellungen. Auch wir, mein Mann und ich, haben da an Gelassenheit dazugelernt. Tja, einen Abend haben wir sogar zusammen gesungen, ich muss mir jetzt Noten für ukrainische Volkslieder fürs Klavier herunterladen.
Dann hieß es plötzlich aus dem Netzwerk: wir haben eine unsanierte und deshalb auf dem deutschen Wohnungsmarkt nicht vermietbare Wohnung für die Fünf für drei Monate gefunden, wohin sie natürlich gerne sofort übergesiedelt sind. Danach kamen zwei junge Frauen zu uns , 30 und 35 Jahre alt, aus Kiew. Sie haben mir ihre Pässe gezeigt – auf den Fotos dort haben sie wunderschöne lange Haare. Vor der Flucht haben sie sich die Haare mit einem Rasierer ratzekurz geschnitten, aus Angst davor, vergewaltigt zu werden, nehme ich an. Sie werden jetzt erst einmal bleiben. Sie wollen unbedingt sobald wie möglich arbeiten, um uns ja nicht auf der Tasche zu liegen, notfalls eben Nachtschicht bei McDonalds oder was sich auch immer ergibt. Echt tough, die Zwei! Und zeitgleich machen wir uns ab Morgen gemeinsam an den Behördenmarathon: Registrierung, Sozialamt, Arbeitserlaubnis... und das in Berlin, puh! Ich sage nur noch: Eins nach dem anderen.
Erzähl uns noch etwas mehr über das Projekt. Wir möchten ja wissen, wie und womit wir auch aus der Ferne unterstützen können.
Das Projekt ist sehr spontan aus der Hilfsbereitschaft innerhalb der Nachbarschaft entstanden, in unserem Fall in der kleinen 10.000-Seelen-Gemeinde hier in Berlin-Wannsee. Das gehört zu Zehlendorf, und wir haben auch Menschen aus anderen Berliner Bezirken im Netzwerk, die entweder Familien aufgenommen haben oder in der Vermittlung aktiv sind.
Alle dafür notwendigen Dinge wie Sachspenden. Möbel, Fahrräder, oder Lebensmittel laufen hierüber, und auch Informationen über den Ablauf von Registrierungen, Impfungen, medizinisch-psychologischer Versorgung, Anmeldungen an Schulen und Kitas usw. werden im neu gegründeten hiesigen Ukraine-Netzwerk gesammelt.
Es ist unglaublich und gibt mir viel Hoffnung, wieviel Hilfsbereitschaft uns überall entgegen gebracht wird. Allerdings gibt es auch sehr viel Bedarf, und wenn die Familien, wie es aussieht, noch länger bleiben müssen, dann brauchen sie auch finanzielle Unterstützung. Abgesehen von der Abwertung der ukrainischen Währung haben Einige einfach nicht genug zum Leben, und ob und wieviel sie vom Sozialamt bekommen werden, wird sich noch zeigen. Sie leben teilweise wirklich von der Hand in den Mund und von einem Tag zum nächsten.
Wenn Menschen helfen möchten, was ist aus Deiner Sicht das Wichtigste?
Menschen in Deutschland sollten in erster Linie Wohnraum zur Verfügung stellen, und wenn das nicht geht, Zeit. Als ehrenamtlicher Helfer kann man sich überall engagieren. Da ist Nebenan.de beispielsweise eine gute Plattform, auch an den Bahnhöfen, als Dolmetscher, zum Packen und für Fahrdienste, zur Kinder- oder Haustierbetreuung, zur Begleitung zum Amt, oder eben mit dem, was man gelernt hat. Man kann auch umsonst Haare schneiden. Oder Yoga anbieten.
Selbstverständlich sind Sachspenden meistens willkommen, beispielsweise Spielzeug oder Hygieneartikel, Handtücher oder Bettzeug. Wenn möglich keine löchrige oder schmutzige Kleidung, auch und gerade Geflüchtete haben ihren Stolz. Und wenn man ein paar Euro übrig hat, können diese sicher Verwendung finden.
Ich persönlich ziehe die kleinen Netzwerke vor, bei denen ich weiß, wo mein Geld hingeht und dass es auch ankommt, und nicht in einem bürokratischen Sumpf verschwindet. Aber ich kenne die vielen einzelnen Organisationen gar nicht alle, die gerade entstehen.
Es gibt überall Möglichkeiten. Und mir persönlich geht es besser, wenn ich nicht ganz hilflos dastehe angesichts dieses ungeheuren Krieges mitten in Europa. Ich möchte etwas Sinnvolles beitragen, um den am schlimmsten Betroffenen zu helfen. Ich bin da “hands on”, andere machen andere Dinge. Du schreibst darüber, andere spenden oder machen Musik oder geben eben das, was sie können. Alles ist willkommen.