Liebesbrief an Mallorca
Es ist schon ziemlich lange her, dass ich so richtig verliebt war. Ich erinnere mich aber noch genau daran, wie es ist, wenn der Hunger plötzlich verschwunden ist, ständige Unruhe im Körper herrscht, die Konzentration immer wieder abschweift und dieses Gefühl von "sich verzehren nach" chronisch wird. Jede Zelle voller Energie, angezogen wie von einem Magneten. Der Kopf ist leer und gleichzeitig voll von Erinnerungen an Bilder, Worte, Sätze und Geräusche, Empfindungen. Teenagerliebe von den Ärzten fällt mir dazu ein, Phrasen von Liedern, die damals gerade rauf und runter liefen und mich für immer mit dieser Zeit und all den Gefühlen verbinden.
Voll von Bildern, die ich nicht vergessen kann.
Jetzt bin ich auch voll von Bildern, im Rausch, von Wind und Meer und blauem Himmel, dem klaren Sternenhimmel in der Nacht und am frühen Morgen, der dünnen Sichel des sich langsam aufblähenden Mondes oben am schwarzen Firmament. Ich höre den Wind in den Palmen und das Vogelgezwitscher, wenn ich die Augen schließe. Ich sehe die steinigen Buchten und das tiefe, unendlich weite Meer vor mir, dahinten ein Boot, schaukelnd im Wind auf den Wellen. Wortfetzen von irgendwoher. Während ich nicht anders kann als das Meer anzustarren, zeigt meine Begleitung auf eine zarte Pflanze am Boden, die ich übersehen hätte. "Komisch", sage ich. "ich habe nur Augen für das Meer." "Aber das ist doch immer da", sagt sie. Es stimmt und einmal mehr verstehe ich: es liegt alles im Auge des Betrachters.
Für mich Liebe auf den 5. Blick: Mallorca
Ich bin auf Mallorca, der Insel, die für Massentourismus und Saufen am Ballermann steht. Für reiche Leute und sehr viele Deutsche. Ehrlich gesagt, all das ist mir vollkommen gleichgültig.
Oben auf der Klippe pfeift der Wind, unter mir brechen die Wellen an den kantigen Felsen. Das Meer zieht mich, magisch, ich möchte hinein springen. Es sind doch nur 15 Meter, denke ich. Was alles passieren könnte? Egal. Ich tue es nicht. Auf der anderen Seite der Klippe liegen Menschen an einem winzigen Sandstrand. Das Meer schimmert türkis über dem weissen Sand, jemand hält seine Angel ins Wasser und wartet geduldig auf Bewegung. Es passiert nichts.
Portoclom - Fische auf Tischen
Später sitze ich an einem Strand in Portocolom, um mich herum Mallorquiner und Zugezogene. Es gibt eine blauweisse Bude, in der nichts anderes als frischer Fisch auf den Herd kommt. Dazu ein paar Meerestiere. Auf einer Tafel stehen die Gerichte angeschrieben, dahinter Zahlen, manche durchgestrichen. Das zeige die Anzahl der übrigen Portionen an, werde ich aufgeklärt. Bob Marley läuft im Hintergrund, uralte Songs, die niemals ihre Haltbarkeit verlieren. So sieht ein Sonntagnachmittag auf Mallorca aus. Ich vergleiche kurz mit Deutschland. Ich könnte am Main sitzen, vielleicht auch irgendwo oben im Taunus, nach einer Wanderung, in einem deutschen Wirtshaus, bei einer Waffel mit Sahne. Vielleicht. Hier sitze ich wenig später an einem der niedrigen, weissen Tische in einem türkisfarbenen Klappstuhl mit den Füssen im Sand. Vorne am Wasser tollen Hunde herum und mutige Kinder planschen im Wasser. Es hat nicht mehr als 17 Grad zu dieser Jahreszeit. Ich höre Lachen und Geplauder, spanische Wortfetzen, dazwischen mal Deutsch. Dies ist keine Touristenattraktion, ich bezweifle, dass sich überhaupt ein Tourist hierher verirrt. Eine Wohltat nach 14 Tagen im TUI Hotel.
Auf den meisten Tischen steht eine Flasche Weisswein oder Rosado im Eiskühler, hier und da auch ein Cerveza oder ein Apérol Spritz. Drüben bei den Hügeln Serres de Llevant neigt sich die Sonne mehr und mehr, während sie ihre Farbe gemächlich in ein tiefes Gelborange verwandelt. Menschen, Gesichter, Silhouetten, Seelen, Meer und Strand bekommen einen natürlichen Filter, der alle und alles in einem undefinierbaren Glanz erstrahlen lässt. Als wären wir alle eingetaucht in ein Zauberlicht, das entspannt macht und schön und alles Schwere einfach aufsaugt.
Sonnenuntergang auf mallorquinisch
Nach dem Essen blinzle ich träge in die untergehende Sonne hinein. Es gibt nichts zu sagen. Kurz muss ich an Morgen denken, den frühen Flug nach Hause. Wie soll ich all das hier zurücklassen? Den Moment genießen, fällt mir ein, ganz da sein in genau diesem Augenblick. Sage ich das das nicht immer zu meinen Schülern? Ich tue es, bin ganz da.
Später laufe ich hinüber zur anderen Seite der Bucht, über einen kleinen Strand, unter Pinien hindurch, und steige ein paar Steine hinauf, so dass ich über das Meer blicken kann. Weiter hinten liegt die Strandbar, gegenüber Portocolom, davor das blaue Wasser der Bucht und dahinter die Bergkette. Ich sehe die Spitze eines Klosters weit in der Ferne in den Abendhimmel ragen. Beim nächsten Mal fahre ich dorthin, nehme ich mir vor. Ein Boot tuckert schaukelnd vom offenen Meer zurück in den sicheren Hafen. Ich sauge die Abendstimmung auf, atme tief die klare Luft, nehme die Bilder mit, jedes Detail, wie ein Maler, der später eine Landschaft aus der Erinnerung auf die Leinwand bringen will.
Die Liebesgeschichte hat begonnen...
Es ist still jetzt, nur der Wind und das Meer umgeben mich. Ich fühle mich, als würde ich genau hierher gehören. Als wäre ich genau hier genau richtig.
Im Auto auf der Rückfahrt kurbele ich die Scheiben hinunter, wickle mich in meinen Schal und lasse mich vom Wind verwehen. Meine Gedanken bleiben fest. Ich komme wieder, bald. Ohne geht nicht mehr. Die Liebesgeschichte hat begonnen.