Sich frei reisen. Geht das?

Scenic shot of the beach with waves hitting the rocks.

Gibt es auf diesem Planeten heutzutage eigentlich noch Menschen, die zugeben würden, dass sie nicht gerne reisen? Ist das überhaupt noch gesellschaftsfähig? Ich stelle mir die Frage ernsthaft. Gleich danach kommt die Frage: ist es denn eigentlich so furchtbar, zu Hause zu sein und: reisen wir, weil wir uns auf Reisen anders wahrnehmen als daheim? Weil wir uns dann "besser finden"?

Mir scheint, dass sich zur Zeit so gut wie jeder unabhängig von Alter und Geschlecht auf die Socken macht, die Welt zu erkunden. Es ist "en vogue", die Koffer zu packen oder besser noch den Backpacker-Rucksack zu satteln und sich davon zu machen. Wohin, ist fast egal.

Reisen ist en vogue. Die Welt erkunden. Jetzt. Sofort.

Reiseblogs gibt es wie Sand am Meer und vor allem die jungen, ungebundenen Leute führen auf ihren Blogs vor, wie das Reisen geht. Wie man am besten packt, welche Utensilien man braucht oder eben nicht braucht, wir finden Tipps zu möglichst günstigen Flügen und Unterkünften. Die Welt, sie will erkundet werden. Jetzt. Sofort.

Der Philosoph und Schriftsteller Alain de Botten hat im Jahr 2002 das Buch „Kunst des Reisens" veröffentlicht. In einem Interview mit dem Goethe Institut erklärte er den Charme des Reisens so: "Menschen reisen, um sich in Erinnerung zu rufen, dass sie nicht alles wissen und dass die Welt größer, geheimnisvoller und aufregender ist, als es scheinen mag, wenn man den ganzen Tag zu Hause sitzt. Das Reisen ist eine ständige Erinnerung an all die Dinge auf der Welt, über die wir staunen."

Wieso eigentlich reisen? Zu Hause gibt's doch auch genug zu staunen. Oder?

"Wieso?" fragte mich letztens meine 11 jährige Nichte. "Hier zu Hause gibt es doch auch genug zu staunen." Einen Moment blickte ich sie irritiert an. Hatte sie nicht recht? Haben wir das Staunen über die alltäglichen Dinge verlernt? Ist unser Alltag so extrem trist und öde, dass wir so dringend und kollektiv meinen, ihm entfliehen zu müssen? Mir fallen Plisch und Plum und Herr Pief von Wilhelm Busch ein:

»Warum soll ich nicht beim Gehen« –
Sprach er – »in die Ferne sehen?
Schön ist es auch anderswo,
Und hier bin ich sowieso.«

Kurz darauf stolpert er und fällt in einen Teich. Weil er zuviel in die Ferne sah und dabei vergaß, auf den Weg zu achten.

Aus wie vielen Momenten besteht eine Reise?

Und noch eine Frage, die sich mir stellt: achten wir denn auf Reisen wirklich auf den Weg, auf das, was in diesem einen Moment gerade vor uns liegt? Oder sind wir nicht vielmehr damit beschäftigt, abertausende von Bildern zu knipsen, den perfekten Moment für ein Selfie zu finden, um uns selbst optimal beim derzeit hippen Sprung zu treffen oder Videos zu drehen, die wir kurze Zeit später zurecht schneiden, um sie möglichst perfekt inszeniert im Web zu platzieren? Haben wir überhaupt noch Zeit, das, was dort, wo wir so dringend meinen hin zu müssen, zu sehen, zu riechen, zu schmecken - wahrzunehmen?

Vielleicht sind wir auf Reisen sogar mehr wir selbst als uns lieb ist. Das Gefühl, anders sein zu dürfen, hier, wo uns erstmal niemand kennt, wird überschattet von unserem Eigengepäck. Solange uns das trist und öde vorkommt, fühlen wir uns vermutlich auch an den herrlichsten Orten der Welt nur kurzfristig frei.

Allein nach Indien. Und danach?

Als ich vor fünf Jahren allein nach Indien gereist bin, habe ich genau diese Erfahrung gemacht. Damals war viel los in meinem Leben und die Illusion, mich "frei zu reisen" erschien mir verlockend. Raus aus dem Alltag, der mir damals so unerträglich geworden war. Dabei war es nicht der Alltag, sondern ich selbst, die mir unerträglich geworden war. Je näher der Rückreisetermin rückte, desto mehr von den alten Gefühlen kroch wieder in mir hoch. Nix hatte ich ad acta legen können, egal, wie viele Kilometer mich von zu Hause trennten. Ich war ich. Ich bin ich.

Sich frei reisen funktioniert nach meiner Erfahrung nur bedingt und zeitweilig. Freiheit von sich selbst auf Reisen zu finden, ist eine Illusion. Solange die innere Freiheit nicht da ist.

Mir hat es sehr geholfen, mich mit professioneller Unterstützung mit mir selbst auseinander zu setzen, mir mein Eigengepäck, das sich seit damals 35 Jahren angesammelt hatte, genauer anzuschauen.

Heute kenne ich mich, glaube ich, recht gut. Ich weiß, was sich in meinem Rucksack befindet, einiges davon konnte ich sogar entsorgen. Anderes kann ich - zeitweilig - woanders hin packen. Seit dem reise ich nicht mehr, um mich frei zu machen, von mir selbst. Ich reise, weil ich die Welt sehen will. Weil ich sie riechen, schmecken und hören will. Und übrigens funktioniert das auch zu Hause. Doch die Erkenntnis dazu, die kam mir durch das Reisen.

Was sind Deine Erfahrungen mit dem Reisen - und Dir selbst? Warum reist Du? Ich freu mich auf einen Austausch per Kommentar.

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